Williams Revisited
Ein Interview mit der Redakteurin
Von Daniel Wamsler, aus "Das sagte Nuff",
http://www.williams-marvels.de/
Das nachfolgende Interview ist inzwischen nicht mehr ganz taufrisch, da es neben einigen Aufzeichnungen und Artikeln den Beginn der Idee zu einer umfassenden deutschen "Marvel-Bibel" markierte. Auch wird dem einen oder anderen manche Frage bekannt vorkommen, da diese gleich oder in ähnlichem Stil in den bereits veröffentlichten Interviews in Das sagte Nuff! gestellt wurde. Der Einleitungstext könnte ebenfalls Déja Vu-Erlebnisse hervorrufen, da zum damaligen Zeitpunkt auch eine Veröffentlichung in den Magazinen Die Sprechblase oder Hit Comics möglich gewesen wäre. Letzten Endes erscheint das Interview nun dort wo es hingehört, da Jani Büsing hauptsächlich die Nicht-Marvel-Serien des Williams Verlags übersetzte. Dennoch gehen neben Korak, Tarzan und Horror einige gelungene Marvel-Hefte z.B. von Der Eiserne und Die Fantastischen Vier auf ihr Konto. Doch genug geplaudert, zurück zu den Anfangstagen und hinein in die Zeit als Das sagte Nuff! noch in weiter Ferne lag…
Vor über dreißig Jahren begann ein in Alsdorf bei Aachen (später in Hamburg) ansässiger Verlag damit, Lizenzcomics aus den USA möglichst originalgetreu und in der Original-Reihenfolge ab der jeweiligen Nr. 1 herauszubringen. Was heute schon selbstverständlich erscheint, war zu diesem Zeitpunkt ein absolutes Novum. Andere Verlage veröffentlichten querbeet, was ihnen gerade unter die Finger kam, ohne sich um eine inhaltliche Chronologie zu kümmern. Hinzu kam, dass der "Williams Verlag", wie er sich nannte, nach kurzer Zeit dazu überging, die Sprechblasentexte von Hand in die Vorlagen zu "lettern". Dies war zwar nicht neu, doch Anfang der Siebziger Jahre mehr als unüblich, da nahezu alle Comicpublikationen "Druckschrift" aufwiesen. Umso mehr erfreuen sich die Williams-Hefte noch heute einer ungeheuren Beliebtheit unter Sammlern und Fans, wobei Worte wie "Kult" oder "Legende" keine Seltenheit sind. So muss ein Sammler für ein Heft wie z.B. Die Spinne Nr. 1 in sehr gutem Zustand inzwischen über 500.- EUR hinblättern, während ein Superman-Comic desselben Jahrgangs vom damaligen Konkurrenten Ehapa (dessen Verkaufszahlen und Beliebtheit an den Kiosken sicherlich höher waren) bereits für 5-8.- EUR zu haben ist. Besonders auffallend die Tatsache, dass die Preise für die Williams Marvel Horror-Comics Dracula und Frankenstein in den letzten Jahren enorm angezogen haben und die Einzelhefte in Bestzustand bei Preisen von 8.- bis 80.- EUR liegen.
Der einzige Verlag, der durch eine ähnlich liebevolle Bearbeitung auffiel, war erst Mitte der Neunziger Jahre der "Dino Verlag", der oft mit der "Williams-Legende" verglichen wird. Auch Dino setzte auf "Originalität", veröffentlichte die Superhelden chronologisch und mit Sprechblasentexten im "Handlettering". Kurioserweise erschienen nun die DC-Helden so, wie seinerzeit die Marvels bei Williams. Dennoch konnte seit 1979 kein anderer Verlag den Williams-Comics das Wasser reichen...
Frau Büsing, sie arbeiteten in den Siebziger Jahren für den legendären Williams-Verlag. Wie kamen sie dazu?
Ich begann meinen Job bei Williams im Mai 1974. Trotz meines Fremdsprachenstudiums hatte ich zu Anfang das Gefühl, als müsste ich für die Arbeit in der Redaktion eine völlig neue Sprache lernen. Mit Hilfe eines American Slang-Lexikons und amerikanischen Freunden gelang mir das aber relativ schnell. Warum ich zu Williams ging? Nun, ich hatte einfach keine Lust, normale Durchschnittstexte in einem Durchschnittsbüro zu übersetzen. Das wäre damals die mögliche Alter-native für mich gewesen.
Mit welchen Aufgaben waren sie betraut und wie ging die redaktionelle Arbeit vonstatten?
Als ich anfing, war der Williams-Verlag mit seinen rund zwanzig Mitarbeitern noch ziemlich groß. Darunter war übrigens auch Herbert Feuerstein, den man heute aus Film und Fernsehen kennt. Er war für das Deutsche MAD zuständig, das er aus dem Amerikanischen übersetzte und durch eigene Beiträge ergänzte. Ich erinnere mich an ihn als einen Kollegen, der "live" genauso skurril und sarkastisch war, wie man ihn aus seinen Auftritten im Fernsehen kennt. 1975 verkleinerte sich der Verlag auf vier fest angestellte und einige freie Mitarbeiter. Da ich zwei kleine Kinder hatte, bevorzugte ich es, als feste Freie von zu Hause aus weiterzuarbeiten. Ich übernahm zehn Titel, die ich monatlich für 300 D-Mark pro Stück übersetzte. Darunter waren u.a. Horror - mein Lieblingstitel, Hulk, Die Grüne Laterne, Dick & Doof, Charlie Chaplin, Tarzan und Korak. An die anderen Titel erinnere ich mich nicht mehr. Handgelettert wurden die meisten Hefte von meinem damaligen Lebensgefährten Clemens Raschke, der auch heute noch in Hamburg wohnt.
Welcher leider die Angewohnheit hatte, die Sprechblasen seinem Text anzupassen, statt umgekehrt. Da waren des öfteren die Köpfe der Charaktere (v.a. bei den FV) durch die Blasen verdeckt. Aber Schwamm drüber. Das Handlettering war zu einer Zeit, als alle anderen Verlage Druckbuchstaben verwendeten, ein absolutes Highlight. Die ersten Williams-Titel waren ja auch noch nicht gelettert, weil es sich hauptsächlich um Titel der auslaufenden Hit Comics-Serie handelte. Wie kam die Produktion der Williams-Titel und wie erfolgte die "Übernahme" des Bildschriftenverlags (bsv)?
Hierzu kann ich leider gar nicht viel sagen. Soviel ich weiß, hat der bsv die Lizenzen für die Titel direkt vom US-Marvel-Konzern gekauft. Zunächst wurde in Alsdorf produziert, sprich übersetzt, gelettert, redaktionell überarbeitet, gesetzt, gedruckt und vertrieben. Da der Standort Hamburg aber deutlich attraktiver war, zog Klaus Recht um, kaufte die Lizenzen unter dem Namen Williams Verlag und produzierte mit einem neuen Team. Druck und Vertrieb erfolgten aber zunächst weiter ab Alsdorf. Später wurde auch in Italien und Spanien gedruckt.
Die liebevolle Aufmachung der Williams-Superhelden und deren chronologische Veröffentlichung war ein sehr mutiger und riskanter Schritt, da die Zeichnungen der frühen Episoden zum Großteil wesentlich schlechter und "ungeübt" aussahen (was in den Leserbriefen auch oft bemängelt wurde). Dies spricht für ein enormes Engagement seitens des Verlags und lässt vermuten, dass die verantwortlichen Redakteure selbst Comicfans waren. Trifft diese Annahme zu?
Ich weiß nur von einem Redakteur, der auch ein echter Comic-Fan war, nämlich Hartmut Huff, der u.a. die Spinne, die Rächer, den Hulk und die Fantastischen Vier übersetzt und redaktionell bearbeitet hat. Aber wenn man mit dieser Materie arbeitet, wird man im Laufe der Zeit ganz automatisch zum Comic-Fan. Die Herausforderung, möglichst echt in die vorgegebene Blase zu texten, macht einfach soviel Spaß, dass man anfängt, auch andere Comics zu lesen, um zu lernen und zu vergleichen.
Die Fans schätzen vor allem das in den Williams-Heften verwendete "Handlettering". War dieser Schritt zu einer Zeit, in der alles maschinell gesetzt wurde, nicht auch riskant? Hatte die Umstellung auf das manuelle Lettern auch Kostengründe?
Es gab damals Untersuchungen in den USA, die ergeben hatten, dass das Handlettering deutlich besser ankam, als maschinell gesetzter Text. Das ergab sich u.a. aus den Verkaufszahlen. Zudem wirkte das Handlettering weitaus authentischer. Inwieweit Kostengründe eine Rolle spielten, kann ich nicht sagen.
Mit welchen redaktionellen Tätigkeiten waren sie noch betraut?
Als Klaus Recht 1976 die Lizenzen für die meisten Titel nicht mehr verlängern konnte, habe ich nur noch Horror übersetzt. Außerdem arbeitete ich noch an einer Hundezeitschrift mit.
Wie waren die Kontakte zum US-Marvel-Konzern? Waren sie selbst vor Ort (in den Staaten), um Vorlagen zu beschaffen oder sich um die Produktion zu kümmern?
Der Marvel-Konzern war ausschließlich Lizenzgeber. Klaus Recht war natürlich zu Vertragsverhandlungen dort. Die Vorlagen kamen auf dem Versandweg. Die Produktionen für unseren Bereich, also den deutschen Markt, fanden nur in Deutschland statt.
Können sie etwas zur Leserstruktur sagen, wie wurden die Leserbriefe und Umfragen bei Williams ausgewertet?
Leserbriefe wurden von der Redaktion beantwortet und Aktionen wie Umfragen u.ä. ebenfalls von der Redaktion durchgeführt. Die Leserschaft bei den Superhelden Comics setzte sich hauptsächlich aus Lesern zwischen 12 und 25 Jahren zusammen. Natürlich hatten wir auch jüngere und ältere Leser.
Parallel zu den Superheldencomics liefen bei Williams auch andere Projekte wie MAD und Kung Fu. Waren sie daran ebenfalls beteiligt?
Wie schon gesagt, war ich hauptsächlich für Horror und Tarzan zuständig. Ich glaube, dass Kung Fu ebenfalls von Hartmut Huff übersetzt wurde.
Gab es Serien, die sich schlecht verkaufen ließen?
Das kann ich nicht wirklich sagen. Ich hörte nur gelegentlich, dass Dick & Doof und Charlie Chaplin keine großen Renner seien.
Warum wechselte der Verlag seinen Namen kurzzeitig in "Klaus Recht GmbH"?
Soviel ich weiß, geschah das aus rechtlichen und steuerlichen Gründen, als sich der Verlag 1975 wesentlich verkleinerte.
Mit der "Verkleinerung" der Mannschaft wurde im Gegenzug das Comic-Programm um mehrere Titel (Der Eiserne, Dr. Strange, etc.) erweitert. Liefen die anderen Serien (Die Spinne, Die Fantastischen Vier,...) so gut?
Der Grund war einfach, dass die Lizenzen für diese frei wurden und Klaus Recht sie erwerben konnte.
Wie kam es dazu, dass Williams auch einen Titel der US-Konkurrenz "DC" (Die Grüne Laterne) ins Programm aufnehmen konnte, obwohl die Rechte der DC-Helden doch beim Ehapa-Verlag lagen? Schließlich hatte es 1974 wegen des Shazam!-Hefts mit Superman auf dem Titelbild rechtliche Probleme gegeben.
Auch hier war der Grund, dass die Lizenzrechte frei waren.
In den frühen Marvel Comics kamen die Sowjetrussen (Reds) und die Deutschen (Nazis) oftmals schlecht weg. Bei den entsprechenden deutschen Ausgaben wurde der Handlungsort in einen Fantasiestaat verlegt und typische Uniformen umgezeichnet und Symbole retuschiert. Was waren die Beweggründe für diese teils umständlichen Eingriffe? (Ein Beispiel wäre der in fast allen Marvel-Serien auftauchende Bösewicht "Dr. Doom", der mitsamt seinem Staat "Latveria" von den "Bayerischen Alpen" wegziehen musste und so seine deutsche Herkunft verschwiegen wurde.)
Ich denke, da liegt die Antwort auf der Hand: Warum sollten in Deutschland schon antideutsche Comics herausgebracht werden?
Einige Titelbilder wurden komplett neugezeichnet. Waren die Vorlagen so schlecht oder gab es andere Gründe (da dieselben Cover bei bsv als Hit Comics mit den Originalzeichnungen erschienen waren)?
Das wäre eine Frage an den Verleger und an Hartmut Huff. Der müsste das auch wissen. Allerdings weiß ich nicht, wo er heute lebt. Die Kirsten Isele hatte noch lange Kontakt mit ihm, und müsste ihnen das sagen können.
Im Gegensatz zu den anderen Williams-Serien erschien ausgerechnet "Dracula" ungekürzt. Gab es keine Bedenken wegen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (Dracula Nr. 5, Frankenstein Nr. 5 und die Kung Fu-Taschenbücher Nr. 5 und 6 landeten ja auf dem Index)? Auch gab es zu Beginn der Williams-Zeit ein Film-Magazin namens "Monster des Monats", ebenfalls ein absolutes Novum zu dieser Zeit. Können sie dazu etwas sagen?
Das Monster des Monats wurde, soweit ich mich erinnern kann, wegen seiner blutrünstigen Anmutung verboten.
Durch den Phasenvertrieb konnte man auf Leserwünsche nur bedingt oder verspätet reagieren. So kam auch das "Aus" der einzelnen Serien für die Leser überraschend. Wie erging es den Mitarbeitern, und gab es Anzeichen für das abrupte Ende?
Kann ich nicht sagen, da ich bereits 1977 aus dem Verlag ausgeschieden bin und danach in einem Großverlag meine Journalisten-Laufbahn begonnen habe.
Wie beeinflusste die Einstellung mehrerer Serien, die ja auch Entlassungen zur Folge hatte, Sie und Ihre Arbeit?
Die erste große Entlassungswelle 1975 war für mich persönlich, wie ich bereits schilderte, positiv.
Letztlich scheiterte das Williams-Superhelden-Programm. Nur Die Rächer, Die Fantastischen Vier und schließlich Die Spinne erschienen noch eine zeitlang. Wie waren die näheren Umstände, die zur Einstellung der anderen Titel führten?
Die Lizenzverträge waren ausgelaufen und wurden offensichtlich nicht verlängert.
War die Konkurrenz durch den Ehapa Verlag entscheidend für den Niedergang, sofern man überhaupt von "Konkurrenz" sprechen kann?
Ich glaube nicht, dass Ehapa etwas damit zu tun hatte. Die Titel waren ja auch so unterschiedlich, dass Ehapa in dem Sinne keine Konkurrenz darstellte.
Lesen Sie selbst Comics und haben Sie den neuerlichen Superhelden-Boom der letzten Jahre mitbekommen?
Heute lese ich kaum noch Comics. Den Superhelden-Boom habe ich natürlich am Rande mitbekommen und mich darüber gefreut.
Welche Williams-Serien gefielen Ihnen am besten und weshalb?
Wie schon erwähnt war mein Lieblingstitel Horror. Die leicht unheimliche Stimmung, in der Dinge zwischen Himmel und Erde geschehen, die sich nicht immer nüchtern und sachlich erklären lassen - das hat mir schon immer gefallen. An zweiter Stelle kam für mich dann schon Die Spinne, die mir auch heute noch gut gefällt.
Was machten Sie nach Ihrem Ausstieg bei Williams, und wovon leben Sie heute?
Nach meiner Zeit bei Williams wurde ich im Heinrich Bauer Verlag zur Journalistin ausgebildet und stieg dort bis zur Stellvertretenden Chefredakteurin auf. Dann machte ich mich selbstständig, ging für fünf Jahre nach Italien und schrieb von dort aus Bekenntnisgeschichten und Kurzromane. Anschließend ging ich nach Baden-Baden und wurde Medizin-Journalistin. Heute lebe ich wieder in Hamburg und arbeite als selbstständige Medizin-Journalistin und PR-Agentin.
Vielen Dank und weiterhin viel Erfolg!